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Einblick

Ein Gewinn für beide Seiten – wie Forschende und Patient:innen zusammenarbeiten

Helga Rohra, Co-Vorsitzende des Patientenbeirats im DZNE, und und Pippa Powell, Direktorin der European Lung Foundation und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats im DZL, erzählen aus der Praxis.

Als Direktorin der European Lung Foundation (ELF) arbeitet Dr. Pippa Powell seit 22 Jahren an der Schnittstelle zwischen Wissenschaftler:innen und Patient:innen. Die ausgebildete Biomedizinerin erkannte früh, wie wichtig es ist, Patient:innen in den Forschungs- und Versorgungsprozess einzubeziehen. Bei Helga Rohra wurde 2007 eine Lewy-Body-Demenz diagnostiziert. Sie engagiert sich seit 2012 in der Europäischen Arbeitsgruppe von Menschen mit Demenz (European Working Group of People with Dementia). Zusammen mit Prof. Martina Roes, Standortsprecherin am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), war sie maßgeblich daran beteiligt, den Patientenbeirat des DZNE aufzubauen. Wir haben mit ihnen über ihre Erfahrungen gesprochen.

„Lange Zeit war es sehr schwierig, Fachkräfte im Gesundheitswesen davon zu überzeugen, die Patient:innenperspektive einzubeziehen”, sagt Pippa Powell. „Das hat sich grundlegend geändert. Jetzt fragen uns die Wissenschaftler:innen in vielen Sitzungen nach Patient:innen, die ihre Erfahrungen einbringen können.” Die Anwesenheit von Patient:innen helfe den Forschenden, ihre Arbeit an deren Bedürfnissen und Wünschen auszurichten. Diese wichtige Perspektive vertritt Pippa Powell auch im Wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL), dem sie seit 2016 angehört. Patient:innen haben oft etwas andere Prioritäten, zum Beispiel geht es ihnen mehr um ihre Lebensqualität als um die Wirkung einer neuen Behandlung oder eines neuen Medikaments auf ihre Krankheit. Außerdem ist es für sie wichtig, dass neue Therapien und Behandlungen auch in ihrem Alltag umgesetzt werden können.

„Wir können die Trennung zwischen Patient:innen und Fachleuten nicht länger aufrechterhalten, es muss eine Partnerschaft sein.”
Pippa Powell

„Es hat einen großen Paradigmenwechsel gegeben”, so die britische Biomedizinerin. „Man kann heute keine Gesundheitsversorgung mehr betreiben, ohne die Patient:innen einzubeziehen. Mit der Digitalisierung in der Versorgung erwarten wir von ihnen, dass sie sich immer mehr selbst kontrollieren und ihre Erkrankung managen. Daher können wir die Trennung zwischen Patient:innen und Fachleuten nicht länger aufrechterhalten, es muss eine Partnerschaft sein.”

Dafür braucht es informierte Patient:innen, denen wissenschaftliche Erkenntnisse in einem verständlichen Format vorliegen. Die ELF hat dafür einen Online-Kurs „European Patient Ambassador Programme” (EPAP, Deutsch: Europäisches Patienten-Vertreter-Programm) entwickelt, der unter anderem durch die Unterstützung des DZL auch auf deutsch verfügbar ist. Der Kurs ist für Personen mit jeglichen Erkrankungen geeignet. Er vermittelt Fähigkeiten und Hintergrundwissen, um sich selbst und andere kompetent im Umgang mit medizinischem Fachpersonal, politischen Entscheidungsträgern, Forschern und Medien zu vertreten.

„Die Erfahrung macht uns zu Experten”

„Wir Patient:innen sind Experten aus Erfahrung, das sind wertvolle Ressourcen”, sagt Helga Rohra, Co-Vorsitzende des Patientenbeirats im DZNE. „Deshalb ist es ein gegenseitiger Gewinn, wenn Ärzte und Forscher mit uns zusammenarbeiten.” Aus ihrer Sicht müssen weniger die Patient:innen darauf vorbereitet werden in der Forschung mitzuarbeiten, als dass vielmehr die Wissenschaftler:innen lernen müssen mit den Patient:innen umzugehen und den Kontakt aufzubauen. Dabei spiele vor allem die Beziehungsebene eine wichtige Rolle. Das bestätigt auch Martina Roes: „Gerade Menschen, die vorher nicht akademisch gearbeitet haben, müssen Vertrauen zu den Wissenschaftlern fassen, damit die Zusammenarbeit gelingen kann.”

„Es ist ein gegenseitiger Gewinn, wenn Ärzte und Forscher mit uns zusammenarbeiten.”
Helga Rohra

Natürlich gebe es eine Hemmschwelle sich in der Forschung zu engagieren, viele trauten es sich nicht zu, so Helga Rohra. Doch wichtiger als eine fachliche Vorbereitung sei eine Passion für das Thema und Engagement. Und wer einmal dabei sei, bleibe es, so ihre Erfahrung. Denn man könne etwas bewirken, werde sicherer im Umgang mit der eigenen Diagnose und profitiere vom Austausch mit anderen Patient:innen.

Patient:innenbeteiligung hat viele Facetten

In der Lungenforschung gibt es, wie auch bei den neurodegenerativen Erkrankungen, insbesondere auf europäischer Ebene bereits eine große Bandbreite, wie sich Patient:innen beteiligen können. „Wir haben Personen, die in wichtigen Ausschüssen sitzen, aber auch Patienten, die Online-Konferenzen organisieren oder einfach nur dabei sein und zuhören wollen”, berichtet Pippa Powell. Die höchste Ebene sei in den klinischen Forschungskooperationen (CRCs) der European Respiratory Society zu sehen. Hier arbeiten Wissenschaftler aus dem Gesundheitswesen, Patient:innen und die Industrie zusammen. Wie groß der Einfluss der Patient:innen ist, verdeutlicht sie an einem Beispiel aus der Corona-Pandemie. Damals wollte eine Gruppe von Asthmapatienten wissen, welche Auswirkungen COVID-19 auf Asthma hat. Neun Monate lang lag der Schwerpunkt einer klinischen Forschungskooperation infolge darauf, zu dieser Fragestellung Daten aus den Registern in verschiedenen Ländern zusammenzutragen und Umfragen durchzuführen.

Patient:innen als Co-Forschende

Als sich vor fünf Jahren der Patientenbeirat des DZNE gründete, war das in Deutschland im Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen ein völlig neues Konzept. „Für uns war es damals sehr wichtig, von den Erfahrungen von Helga Rohra auf europäischer Ebene zu profitieren und mit ihr zu besprechen, was es heißt, Menschen mit Demenz aktiv in die Forschung einzubinden”, sagt Martina Roes.

Der DZNE-Patientenbeirat trifft sich regelmäßig und tauscht sich zu unterschiedlichen fachlichen Themen aus. Der Vorstand des Beirats begleitet auch Förderanträge des DZNE. Zum Beispiel flankierte der Patientenbeirat die Antragstellung für das TaNDem-Projekt des DZNE mit einem Begleitschreiben. Darin begründeten sie, warum diese Forschung für die Patient:innen so wichtig ist. Das wurde vom BMBF sehr positiv bewertet. TaNDem steht für Translationales Netzwerk für Demenz-Versorgungsforschung. Ziel ist es, gemeinsam die Versorgung der Menschen mit Demenz zu verbessern und ihre Angehörigen optimal zu unterstützen.

„Patient:innen müssen für sich sprechen, darin liegt die Zukunft.”
Helga Rohra

Helga Rohra hat außerdem bei zwei DZNE-Forschungsprojekten als Co-Forschende mitgewirkt und ist auch als Antragstellerin genannt. „Diese Bezeichnung ‚Co-Forschende’ ist zukunftsorientiert, sie drückt aus, dass man auf Augenhöhe mit den Wissenschaftlern agiert und tatsächlich etwas bewirken kann”, so Helga Rohra. Wenn sich Patient:innen zunehmend bewusst würden, welche Fähigkeiten sie haben und sich auf der anderen Seite Ärzte und Forschende dafür öffnen, entstünde ein unschlagbares Team. Patient:innen müssen für sich sprechen, darin liege die Zukunft.

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