23. Juli 2024

    Wie Forschung psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen reduzieren soll: DZPG nimmt Risikofaktoren in den Fokus

    #DZPG

    Bis zu 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland leiden an einer psychischen Störung. Allerdings sind nicht alle Kinder gleichermaßen gefährdet. Im Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG) wird in vielen Projekten gezielt an Gruppen mit Risikofaktoren geforscht. Ziel ist eine frühere Diagnose und ein breites Netz an Präventions- und Unterstützungsangeboten für alle Altersgruppen.

    Prof. Dr. Peter Falkai, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am LMU Klinikum und Sprecher des Münchner DZPG-Standortes, betont: „Psychische Erkrankungen zählen zu den relevantesten Gesundheitsproblemen in Deutschland. Manche Kinder und Jugendliche lassen sich durch präventive Maßnahmen schützen. Dafür setzt sich das DZPG mit seiner translationalen Forschung ein.“

    Ängste, Hyperkinetisches Syndrom, Lernschwächen, Depressionen, Suchterkrankungen, Essstörungen: Die Liste psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen ist lang. Werden sie in der Kindheit und Jugend nicht behandelt, bleiben psychische Probleme oft bis ins Erwachsenenalter bestehen. „Jedes fünfte Kind und jeder Jugendliche ist von psychischen Störungen betroffen“, sagt Falkai. „Bei Erwachsenen ist es sogar jedes vierte. Damit sind psychische Erkrankungen eine der größten Herausforderungen für die Medizin.“

    Erwachsenwerden als Risikofaktor: Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko für psychische Erkrankungen

    Mit zunehmendem Alter sind Heranwachsende Belastungen ausgesetzt, wenn sie die Schule beenden, eine berufliche Laufbahn einschlagen, eigene soziale Netzwerke bilden und soziale Rollen finden. Dennoch ist das Risiko für psychische Erkrankungen nicht nur auf den Reifungsprozess zurückzuführen. Die Forschung am DZPG konzentriert sich auf spezifische Risikofaktoren. Falkai erklärt: „Die Zahl psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen hat während der Corona-Pandemie deutlich zugenommen, mit Kontaktbeschränkungen, Einsamkeit und einem höheren Maß an häuslicher Gewalt.“ Den Anstieg bestätigt eine Studie des BKK-Dachverbands im Auftrag der Stiftung Kindergesundheit. Sie zeigt, dass in den Pandemiejahren 2020 und 2021 vor allem 15- bis 19-jährige weibliche Versicherte unter psychischen Symptomen litten. Ängste und Anpassungsstörungen wurden überdurchschnittlich häufig beobachtet. Und die nächste Krise steht schon bevor: „Wir beobachten auch eine Zunahme von posttraumatischen Belastungsstörungen und Depressionen aufgrund äußerer Stressoren wie bewaffneter Konflikte.“

    Prävention vor Behandlung

    „Viele Forschungsprojekte der DZPG zielen auf die Prävention ab“, sagt Prof. Falkai. „Viele psychische Störungen entwickeln ihre ersten Symptome schon, bevor sie sich manifestieren. In der Praxis sind diese ersten äußeren Anzeichen oft unspezifisch: Dazu zählen Schlafstörungen, innere Unruhe und körperliche Beschwerden wie Bauch-, Kopf- und Rückenschmerzen. Diese Entwicklung kann schließlich nahtlos in Angststörungen übergehen. Auch eine Verschlechterung der Konzentration und damit der schulischen Leistungen ist häufig zu beobachten. Auch hier registrieren Experten steigende Fallzahlen: Bei Schulkindern haben potenziell psychosomatische Beschwerden wie Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen, aber auch Einschlafstörungen und Depressionen im Laufe der Jahre deutlich zugenommen. Das ist eines der Ergebnisse der Health Behavior in School-aged Children (HBSC)-Studie der WHO.

    Psychische Störungen bei jungen Menschen verhindern

    Die Forschung des DZPG zur Primärprävention setzt genau hier an: Ziel ist es, die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass Kinder und Jugendliche psychische Störungen entwickeln. Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim und Sprecher des DZPG, erläutert: „Der erste Schritt besteht darin, die psychische Gesundheit überhaupt zu messen.“ Eine solche Messung führt das DZPG derzeit in Bochum mit dem Deutschen Gesundheitsbarometer durch. Dabei wird eine repräsentative Stichprobe der Bevölkerung regelmäßig zu ihrer psychischen Gesundheit befragt. Dadurch lassen sich Veränderungen der psychischen Gesundheit der Bevölkerung – etwa während einer Wirtschaftskrise oder einer Pandemie – messen, um Maßnahmen zu ergreifen, die einen Kollaps verhindern.

    Forschung für gefährdete Kinder

    Das Risiko für psychische Erkrankungen ist nicht bei allen Kindern und Jugendlichen in Deutschland gleich: „Wir kennen Risikofaktoren, die psychische Erkrankungen auslösen oder verschlimmern können. Eine Frühgeburt ist einer davon“, sagt Falkai. Darauf liegt der Fokus des DZPG-Standorts Tübingen. Im Rahmen eines Früherkennungsprogramms werden die Familien von Frühgeborenen engmaschig begleitet, um mögliche frühe Symptome psychischer Erkrankungen zu erkennen und die familiäre Belastung durch die Frühgeburt zu reduzieren. Parallel wird eine große Kohorte von Zwillingen begleitet, um Risiko- und Belastbarkeitsfaktoren zu verstehen, frühe Symptome zu erkennen und Interventionsmöglichkeiten anzubieten.

    Risiken ergeben sich jedoch auch im weiteren Krankheitsverlauf. Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie CCM der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Sprecher der DZPG: „Ein Faktor ist der sozioökonomische Status, insbesondere hinsichtlich Barrieren beim Zugang zur Gesundheitsversorgung, aber auch die Mental Health Literacy: Wie gut kenne ich mich mit psychischer Gesundheit aus?“ Auch das Aufwachsen im städtischen Raum und die Arbeitslosigkeit eines oder beider Elternteile sind Risikofaktoren für psychische Erkrankungen. Der Minderheitenstatus ist ein weiterer Risikofaktor. Aus diesem Grund startete die DZPG ein Projekt im Bochumer Stadtteil Wattenscheid. Dort leben überdurchschnittlich viele Menschen in prekären Verhältnissen, haben einen Migrationshintergrund oder sind von Arbeitslosigkeit betroffen. Unter dem Motto „Urban Mental Health“ (UMH) entwickelt das Forschungs- und Behandlungszentrum für Psychische Gesundheit (FBZ) der Ruhr-Universität Bochum ein neuartiges Präventionskonzept. Es bringt erstmals Wissenschaft, Politik und Praxis zusammen, um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Ziel des Projekts ist es, die psychische Gesundheit von Lehrkräften durch die Stärkung ihrer Resilienz zu verbessern und ein Curriculum für Studierende zu entwickeln, das ihre Kompetenz im Bereich psychische Gesundheit verbessert. Bei Erfolg könnte das Projekt zu einer Blaupause für ganz Deutschland werden.

    Psychische Probleme der Eltern als Risikofaktor

    Forscher der FU Berlin konzentrieren sich auf Kinder von Eltern, die aufgrund eigener psychischer Belastungen Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Kindern haben. Dies kann zum Beispiel bedeuten, dass ein oder mehrere Elternteile an einer psychischen Erkrankung (z. B. Depressionen oder Angststörungen) leiden oder über eingeschränkte soziale oder finanzielle Ressourcen verfügen. Untersuchungen zeigen, dass solche Stressoren mit erhöhtem elterlichen Stress einhergehen können, was wiederum die Kommunikation und Interaktion mit den eigenen Kindern erschweren kann. Es wird eine App entwickelt, die Eltern niedrigschwellig dabei hilft, ihre eigene psychische Gesundheit zu stärken und positives Erziehungsverhalten zu fördern.

    Frühere Diagnosen für einen besseren Start ins Erwachsenenleben

    Die DZPG forscht zudem zur Sekundärprävention, also zur Verbesserung der Behandlungschancen durch frühzeitige Krankheitserkennung. Falkai: „Die DZPG evaluiert derzeit Zentren zur Früherkennung und Erstbehandlung psychischer Erkrankungen und will die Informationsversorgung der Bevölkerung verbessern. Ziel ist, dass Kinder, Jugendliche und ihre Familien Zugang zu kompetenten Früherkennungsstellen haben, die auf psychische Störungen spezialisiert sind. Nur Experten können Symptome, die auf eine psychische Erkrankung hinweisen, von solchen unterscheiden, die zu normalen Reifungs- und Entwicklungsprozessen gehören.“

    Referenzen: Kindergesundheitsbericht 2023 der Child Health Foundation;  Health Behavior in School-aged Children (HBSC)-Studie, WHO

    Quelle: DZPG

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