Warum führt eine Depression zu Lernstörungen?
Zu diesem Ergebnis kommt eine mehrmonatige Studie eines Teams um den DZPG-Neurowissenschaftler Prof. Dr. med. Markus Ullsperger vom Institut für Psychologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg gemeinsam mit Kollegen der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie und dem Deutschen Zentrum für Seelische Gesundheit.
Mithilfe von Gehirnwellenmessungen (EEG) und komplexer mathematischer Computermodellierung entdeckte das Forscherteam, dass Lerndefizite bei depressiven und schizophrenen Patienten durch eine verminderte Flexibilität bei der Nutzung neuer Informationen verursacht werden.
Die Studie wurde soeben in der international renommierten Fachzeitschrift Brain unter dem Titel „Transdiagnostic inflexible learning Dynamics Explain Defizite bei Depressionen und Schizophrenien“ veröffentlicht.
„Menschen, die an Depressionen oder Schizophrenie leiden, leiden häufig unter kognitiven Beeinträchtigungen“, sagt der Erstautor der Studie, Dr. Hans Kirschner. Unter anderem fällt es ihnen schwer, komplexe Informationen zu verstehen, zu lernen, zu planen oder eine Situation zu verallgemeinern. „Vor allem Defizite bei der Nutzung von Rückmeldungen aus der Vergangenheit zur Steuerung künftigen Verhaltens sind ein Kernproblem der Betroffenen.“ Diese kognitiven Einschränkungen seien für Patienten sehr belastend und hätten großen Einfluss auf den Therapieerfolg, ergänzt der Neuropsychologe und Psychotherapeut Dr. Tilmann Klein. „Wenn wir diese Defizite und ihre Ursachen besser verstehen, können wir langfristig Therapien wie das funktionelle Training gezielter und gezielter gestalten.“
Um herauszufinden, ob die psychologischen und neuronalen Mechanismen, die zu kognitiven Beeinträchtigungen führen, bei verschiedenen psychischen Erkrankungen gleich sind, untersuchten die Wissenschaftler sowohl Patienten mit der Diagnose einer schweren depressiven Störung oder Schizophrenie als auch eine Kontrollgruppe von 33 Personen.
Experimente mit Tierbildern
Den Probanden wurden auf einem Bildschirm immer wieder Bilder von Tieren gezeigt, die entweder mit einer hohen oder geringen Wahrscheinlichkeit einer Belohnung oder Bestrafung, also positiver oder negativer Rückmeldung, verbunden waren. Die Probanden mussten entscheiden, ob sie auf das Tier wetten wollten oder nicht und somit entweder 10 Punkte gewinnen oder verlieren. Wenn sie nicht gewettet haben, haben sie weder gewonnen noch verloren. Aber dann sahen sie, ob sie gewonnen oder verloren hätten, wenn sie gewettet hätten. „Während der Runden mussten die Probanden entscheiden, ob es sich lohnt, zu wetten und einen Verlust zu riskieren, oder ob es besser ist, nicht zu wetten und nichts zu verlieren“, erklärt Dr. Kirschner.
„Der Eingriff lässt sich mit einem Roulettespiel vergleichen“, erklärt der Neurowissenschaftler. „Wenn Sie wetten, gewinnen oder verlieren Sie. Aber wenn Sie nicht wetten, können Sie immer noch sehen, wo die kleine Kugel landet, und herausfinden, was passiert wäre, wenn Sie gewettet hätten. Der Unterschied in unserer Studie besteht darin, dass die Probanden tatsächlich waren.“ lernfähig, denn mit der Zeit lernt man irgendwann, ob ein Tier im Durchschnitt belohnt oder bestraft wird, und kann dann entweder immer auf dieses Tier wetten und so seinen Gewinn maximieren oder seine Verluste minimieren.“
Optimales Lernen bei dieser Aufgabe würde daher bedeuten, dass die Probanden zu Beginn des Lernprozesses stärker auf das Feedback – also die Gewinne oder Verluste eines Tieres – achten, sagt Kirschner. „Nachdem sie ein Gefühl für die Gewinnwahrscheinlichkeit eines Tieres bekommen haben, ignorieren sie irreführende Rückmeldungen, zum Beispiel, dass ein Bild, das normalerweise eine hohe Verlustwahrscheinlichkeit hat, von Zeit zu Zeit auch gewinnt.“
Während sich gesunde Probanden ähnlich verhielten, waren Gruppen von Patienten mit Depressionen oder Schizophrenie stärker von zufälligen Fehlern beeinflusst. „Stellen Sie sich einen Basketballspieler vor, der auf einen Korb schießt“, erklärt der Neurowissenschaftler Dr. Kirschner. „Der schlechte Spieler punktet selten und würde es nicht in die Mannschaft schaffen. Der gute Spieler punktet oft, aber nicht immer, aber man würde ihn trotzdem in die Mannschaft aufnehmen.“ Allerdings würden beide Patientengruppen in der Studie auch den guten Spieler sofort nach einem ersetzen schlechter Schuss". Das EEG zeigte, dass beide Patientengruppen eine reduzierte neuronale Repräsentation der Belohnungserwartung aufwiesen. „Das bedeutet, dass die Trefferquote eines guten Basketballspielers schwächer im Gehirn gespeichert ist und schneller überschrieben wird, wenn der Spieler kein Tor erzielt.“
Dr. Hans Kirschner fasst die Ergebnisse der Studie so zusammen, dass sie unser Wissen über kognitive Beeinträchtigungen bei Patienten mit der Diagnose Schizophrenie oder Depression erheblich erweitert. „Insbesondere konnten wir auch die Vorteile von Computermodellen demonstrieren, in denen wir versuchen, komplexe Lernmechanismen mathematisch zu beschreiben und als Computersimulationen umzusetzen.“ Auf diese Weise kann schwer vorhersehbares Lernverhalten simuliert und mit dem Verhalten von Probanden bei bestimmten Aufgaben verglichen werden. „Mit diesem Ansatz können wir Lerndefizite künftig differenzierter quantifizieren und charakterisieren. Und ein besseres Verständnis dieser Defizite wird es uns wiederum ermöglichen, aktuelle Therapien gegen Depression und Schizophrenie gezielt weiterzuentwickeln.“ Wir hoffen, dass unsere Forschung in Zukunft vielen Patienten zugute kommt und ihnen hilft, im Alltag besser zurechtzukommen.“
Originalpublikation: Transdiagnostische unflexible Lerndynamik erklärt Defizite bei Depression und Schizophrenie. Kirschner, H., Nassar, M.R., Fischer, A.G., Frodl, T., Meyer-Lotz, G., Froböse, S., Seidenbecher, S., Klein, T.A., Ullsperger, M. Brain. 2024 Jan;147(1): 201–214.
Quelle: DZPG
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