7. August 2024

Hepatitis B: Leberzellen schalten Immunantwort aus

#DZIF

Bei chronischer Hepatitis B sammeln sich in der Leber Immunzellen, die mit dem Hepatitis-B-Virus infizierte Zellen zerstören könnten, aber inaktiv sind. Ein internationales Team unter Leitung der DZIF-Wissenschaftler:innen Percy Knolle und Ulrike Protzer an der Technischen Universität München (TUM) hat entdeckt, dass Zellen in Blutgefäßen der Leber eine Art „Sleep Timer“ starten, der Immunzellen nach einiger Zeit abschaltet. Diesen Mechanismus zu beeinflussen, könnte ein Ansatzpunkt für Immuntherapien sein.

Hepatitis B ist weltweit verbreitet. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) besteht bei rund 250 Millionen Menschen eine chronische Hepatitis B. Die häufigste gesundheitliche Folge einer solchen chronischen Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus sind Leberschäden. Ursache ist oft nicht das Virus selbst, sondern die Immunantwort des Körpers, die sich gegen infizierte Zellen richtet. Immunzellen lösen Entzündungsvorgänge aus, die zu Fibrosen, also Vernarbungen des Lebergewebes, und Leberkrebs führen können.

„Bei chronischer Hepatitis B versucht das Immunsystem des Körpers, infizierte Leberzellen zu zerstören, richtet dabei langfristigen Schaden an und wird das Virus trotzdem nicht los“, sagt Percy Knolle, Professor für Molekulare Immunologie an der TUM und Wissenschaftler im Forschungsbereich Hepatitis des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF). Auffällig ist dabei, dass bei chronischen Infektionen einige der Immunzellen inaktiv sind, deren Rezeptoren das Hepatitis-B-Virus erkennen und zerstören könnten.

Zellen in Blutgefäßen setzen Zeitlimit

Den Grund dafür beschreibt ein Team um die DZIF-Wissenschaftler Prof. Percy Knolle und Prof. Ulrike Protzer von der Technischen Universität München und dem Helmholtz Zentrum München in der Fachzeitschrift Nature. Das Hepatitis-B-Virus infiziert gezielt Hepatozyten. Diese Zellen bilden den größten Teil des Lebergewebes. Sie werden über kleine Gefäße mit Blut versorgt, die mit Endothelzellen ausgekleidet sind. Immunzellen, die über das Blut in die Leber gelangen, erreichen die infizierten Hepatozyten nur durch spezielle Öffnungen in den Endothelzellen. Durch diese Öffnungen strecken sie Fortsätze, um die infizierten Hepatozyten zu erreichen und ihre Zerstörung auszulösen. Dabei gelangen sie zwangsläufig in engen Kontakt mit den Endothelzellen.

„Wir konnten zeigen, dass die Endothelzellen eine Art molekularen ‚Sleep Timer‘ bei bestimmten Immunzellen starten, den zytotoxischen T-Zellen, die infizierte Hepatozyten erkennen“, sagt Erstautorin Dr. Miriam Bosch. „Das geschieht, sobald diese T-Zellen Kontakt mit den infizierten Hepatozyten aufnehmen." Je länger die T-Zellen in Kontakt mit den Endothelzellen stehen, desto schwächer wird ihre Aktivität – vergleichbar mit Musik, die immer leiser wird, bevor der „Sleep Timer“ die Wiedergabe vollständig stoppt.

Konkret erreichen die Endothelzellen über den cAMP-PKA Signalweg, dass die Signalweitergabe der Rezeptoren abgeschaltet wird, mit denen die T-Zellen das Hepatitis B Virus erkennen und über die sie aktiviert werden. Dadurch attackieren die Immunzellen die infizierten Zellen nicht mehr und können sich auch nicht vermehren.

Schutzfunktion vermutet

„Wir nehmen an, dass dieser Mechanismus zum Schutz der Leber entstanden ist”, sagt Percy Knolle. „Durch die Zeitbegrenzung wird verhindert, dass sich Immunzellen bei einer Infektion zu stark vermehren und durch die Zerstörung der infizierten Hepatozyten die Leber kritisch schädigen.“ In bestimmten Fällen ist das Zeitfenster zur Bekämpfung des Virus aber offenbar zu knapp bemessen und das Virus entkommt der Kontrolle durch das Immunsystem. Durch immer neue Versuche der T-Zellen, die infizierten Hepatozyten zu bekämpfen, kommt es bei einer chronischen Hepatitis B trotz des Schutzmechanismus zu den für diese Erkrankung typischen Organschäden.

„Jetzt beginnt die Suche nach Möglichkeiten, diesen Mechanismus gezielt zu beeinflussen“, sagt Percy Knolle. „Auf diese Weise könnten wir vielleicht das Immunsystem dabei unterstützen, eine chronische Hepatitis-B-Virus-Infektion effektiv zu bekämpfen.“ Denkbar seien einerseits maßgeschneiderte Immuntherapien, bei denen T-Zellen so manipuliert werden, dass sie für die Signale aus den Endothelzellen nicht mehr empfänglich sind. Andererseits könnte man den Mechanismus eventuell auch mit Medikamenten abschalten. Dafür müsse es allerdings zunächst gelingen, einen entsprechenden Wirkstoff spezifisch zu den Immunzellen in die Leber zu transportieren, um lebenswichtige Prozesse in anderen Zellen des Körpers nicht zu beeinträchtigen. Aus Sicht der Forschenden könnte ein solches Medikament die Wirkung von Impfungen verstärken und so dazu beitragen, die chronische Hepatitis B, die besonders in ärmeren Regionen der Welt verbreitet ist, zu bekämpfen.

Originalpublikation: A liver immune rheostat regulates CD8 T cell immunity in chronic HBV infection. Bosch, M., Kallin, N., Donakonda, S. et al. Nature Jul 2024;631: 867–875.

Quelle: DZIF
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Prof. Percy Knolle und Erstautorin Dr. Miriam Bosch konnten zusammen mit einem interdisziplinären Forschungsteam zeigen, wie Zellen in Blutgefäßen der Leber die Immunantwort gegen Hepatitis B stoppen – mutmaßlich ein Schutzmechanismus des Körpers. © TUM/Andreas Heddergott